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Mögliche Auswege aus dem Tunnel

16.11.2010 / Anton Aschwanden
Von der Strasse auf die Schiene - Die transalpine Verkehrspolitik beschränkt sich allzu oft auf die Infrastruktur. Aber Basistunnels alleine werden keine Wunder vollbringen. Für eine effektive Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasseauf die Schiene sind andere Massnahmen notwendig.
Verkehrsverlagerung
Bild Legende:
Verkehrsverlagerung © Pierre Moreau
Der Schwerverkehr nimmt ständig zu. Und damit auch die Belastung der Umwelt und der Menschen. Seit Jahren wird gefordert, den Güterverkehr von der Strasse auf die Schienezu verlagern. Doch der Prozess harzt. Wieso tun sich die Alpen-länder und -regionen so schwer mit diesem Vorhaben?
Die Verkehrspolitik der Europäischen Union ist nicht wirklich eine Politik der Verkehrsverlagerung. Bei der Schaffung von transeuropäischen Güterverkehrskorridoren steht im Bahnbereich die Frage der Infrastruktur im Vordergrund. Hauptziel ist die Beseitigung von Engpässen. Die alpenquerenden Verbindungen sollen nun durch grosse Basistunnel-Projekte modernisiert werden. Trotz beträchtlicher Investitionen in die Infrastruktur ist der Anteil des Schienenverkehrs tendenziell rückläufig.

Verlagerung wird behindert
Die einzelnen Alpenländer und -regionen setzen sich für ihre jeweiligen Projekte ein, um zu verhindern, dass sie von den wichtigen Güterverkehrsachsen ausgeschlossen werden. Allerdings rückt die Fertigstellung der geplanten Projekte in immer weitere Ferne. Was bringen diese Projekte wirklich? Die französischen Region Rhône-Alpes zum Beispiel, die sich stark für den grenzüberschreitenden Tunnel zwischen Lyon und dem italienischen Turin einsetzt, konnte nicht verhindern, dass dieses Projekt immer weiter nach hinten verschoben wurde. Der Baubeginn und umso mehr die Fertigstellung sind nach wie vor ungewiss. Der Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien verzeichnet ähnliche Verzögerungen. Die Anrainerstaaten dieser Projekte zeigen nicht dieselbe Begeisterung für die Verkehrsverlagerung. Das Land Tirol, das unter dem zunehmenden internationalen Schwerverkehr auf der Brennerachse leidet, möchte den Strassenverkehr regulieren und auf die bestehende und derzeit nicht ausgelastete Eisenbahnlinie verlagern. Doch die EU und mehrere betroffene Staaten haben beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren gegen Österreich wegen «Behinderung des freien Verkehrs» eingeleitet.
Der dänische Experte für Infrastrukturfragen, Bent Flyvbjerg, hat 2003 mit seinem Team auf fünf Kontinenten Hunderte von Grossprojekten aller Art aus den vergangenen 70 Jahren untersucht. Die Forscher stellten fest, dass die Kosten und die negativen Auswirkungen auf die Umwelt häufig unterschätzt und die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft dagegen häufig überschätzt werden. Ausserdem sind die Entscheidungsprozesse selten transparent.
Was die grossen Eisenbahntunnels betrifft, bildet die Schweiz eine Ausnahme: Die Schweizer Bevölkerung hat sich wiederholt für solche Projekte ausgesprochen. Der Lötschberg-tunnel ist seit 2007 in Betrieb und der Gotthard-Basistunnel wird voraussichtlich 2017 eröffnet. Allerdings wird sich die Verteilung des Verkehrsaufkommens laut Experten ohne flankierende und verpflichtende Massnahmen nur um zwei Prozent zugunsten der Schiene erhöhen.

Software statt Hardware!
Es gibt effektivere Mittel für die Verlagerung als milliardenschwere Tunnelprojekte. Zum einen müssen Voraussetzungen geschaffen werden für einen fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern. Wegen der Globalisierung werden Güter heutzutage vermehrt zwischen Staaten hin und her verfrachtet. Gemäss Marktlogik werden sie möglichsteffizient und möglichst günstig transportiert. Im Vergleichzum Konkurrent Strasse ist die Schiene weniger gut für die Aufnahme dieses transnationalen Verkehrs und die Lieferungan den Endkunden geeignet. Die Strasse kommt in dieser Rechnung besser weg, weil sie nur für einen geringen Teil der Umwelt- und Sozialkosten aufkommt. Die Überarbeitung der Eurovignette-Richtlinie, die hier Abhilfeschaffen sollte, kommt nur schleppend voran. Zum andern müssen die vorhandenen Kapazitäten der Bahninfrastruktur besser ausgelastet werden. Die Hauptursache für den geringen Marktanteil der Schiene sind nämlich nicht fehlende Kapazitäten, sondern häufig Betriebsprobleme. Die wichtigsten Engpässe im Schienennetz bestehen in der Nähe von grösseren Städten und auf den Zufahrtstrecken zu den alpenquerenden Tunnels. Durch ein besseres Management kann die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenangebotes verbessert werden. Das bedeutet zum Beispiel effizienteres Trassen-management, Diversifizierung der Tarife, Harmonisierung der Fahrpläne, Rationalisierung des Material- und Triebfahrzeugeinsatzes oder Vereinfachung der grenzüberschreitenden Verfahren. Diese Massnahmen sind bekannt; sie können kurz- und mittelfristig umgesetzt werden und kosten weniger als neue grosse Infrastrukturprojekte.
Weiters braucht es neue Instrumente zur Regulierung des Strassenverkehrs in sensiblen Regionen wie den Alpen. Flugzeuge benötigen Slots, Züge brauchen Trassen und Schiffe Anlegestellen. Der Lastwagen ist das einzige Verkehrsmittel, das keiner Regulierung unterliegt, wenn man von den Verkehrs-vorschriften für Alpentunnels absieht. Der LKW rollt zurzeit auch ohne übergreifendes intelligentes Management.

Alpentransitbörse als Lösung?
Ein wirksames Instrument hierfür ist die Alpentransitbörse. Es geht darum, die Verlagerung der Transitgüter von der Strasse auf die Schiene durch die kontrollierte Ausgabe von Transitrechten für LKWs zu fördern. Diese Transitrechte können auf dem Markt gehandelt werden. Wie bei anderen beschränkten Gütern bestimmt die Nachfrage den Preis. Zahlreiche Verkehrsexperten unterstützen diese Idee. Die Schweiz hat die Alpentransitbörse in das neue Gesetz zur Güterverkehrsverlagerung aufgenommen. Die Einführung dieses Instruments hängt jedoch von der Bereitschaft zu einer neuen Politik der Verkehrsverlagerung im gesamten Alpenraum ab.
In den Alpen muss eine langfristige Verkehrspolitik entwickelt werden, ohne die immer wieder verschobene Fertigstellung einiger Grossprojekte abzuwarten. Die Alpenländer und -regionensollten deshalb ein konzertiertes Programm zur Modernisierung der bestehenden Schienennetze ausarbeiten. Damit einher geht eine Verlagerungspolitik, die nicht an dieeuropäische Infrastrukturpolitik gebunden ist, aber von Massnahmen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsvorteile der Schiene gegenüber der Strasse begleitet wird.

aus: Szene Alpen Nr. 94 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4542)