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Vom Iglu zum Passivhaus - Erst billiges Öl machte traditionelles Wissen über Wärmedämmung vergessen

09.12.2008 / Felix Hahn
Seit je her versucht der Mensch Wärmeverluste bei Gebäuden zu minimieren, sei es bei einem Iglu oder einem Bauernhaus in den Alpen. Tradtionelles Wissen in Kombination mit neuen Entwicklungen ermöglichte bereits Anfang der 90er Jahre den Bau erster Passivhäuser. Hier reichen an den kältesten Tagen im Jahr zehn Teelichter aus, um ein 30 Quadratmeter grosses Zimmer behaglich warm zu halten.
CIPRA Info Niedrigenergiehaus
Bild Legende:
Die grossen Verglasungen bei Niedrigstenergiehäusern lassen nicht nur wunderbare Ausblicke zu, sondern führen auch zu lichtdurchfluteten hellen Innenräumen. © Energieinstitut Vorarlberg
Der Alpenraum ist von den globalen, durch den Menschen mitverursachten Klimaänderungen in besonderem Masse betroffen. Die prognostizierten und schon heute deutlich sichtbaren Veränderungen wie z.B. das Ansteigen der Durchschnittstemperaturen, die Zunahme von Extremwetterereignissen und Sommertrockenheit oder das Abschmelzen der Gletscher treffen in den Alpen einen besonders sensiblen Raum. Pro Kopf betrachtet tragen die Alpenländer aber auch überproportional viel zum globalen Ausstoss des hauptsächlichen Treibhausgases CO2 und damit zum Klimawandel bei. Intelligentes
Bauen kann hier viel ändern.

Viele Fliegen auf einen Schlag
Das Potenzial zur Reduktion des Heizenergiebedarfs von
Gebäuden durch Baumassnahmen - und damit um CO2 einzusparen - ist gewaltig. Alleine die privaten Haushalte haben in den Alpenländern mit rund 30 Prozent einen gleich hohen Anteil am Endenergieverbrauch wie der gesamte Verkehrssektor. Am meisten Energie in einem mitteleuropäischen Haushalt "frisst" mit über 70 Prozent die Raumheizung, wobei vornehmlich Heizöl und Erdgas zur Wärmeproduktion eingesetzt werden. Die EU-Staaten wie auch die Schweiz planen, bis 2020 die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um bis zu 20 Prozent zu reduzieren. Den grössten Beitrag zu den Sparbemühungen im Inland sollen thermisch intelligente Sanierungen und Neubauten liefern. Während in einem durchschnittlichen Altbau heute über 20 Liter Heizöl(-äquivalent) pro Quadratmeter und Jahr für das Heizen benötigt werden, genügen für moderne Neubauten oder clever sanierte Gebäude ein bis drei Liter! Es liegt auf der Hand, dass energieoptimierte Bauten auch finanziell attraktiv sind. Einerseits können die Besitzerinnen und Nutzer massiv Heizkosten sparen, andererseits sind sich Experten weitgehend einig, dass sich nirgends billiger und effizienter vergleichbare Mengen an CO2 einsparen lassen wie im Gebäudebereich. Und auch die einheimische Wirtschaft profitiert von den verstärkten Anstrengungen der Staaten und Regionen, ihren Gebäudepark so rasch als möglich thermisch zu sanieren. Gerade für Fachkräfte entstehen viele neue Stellen. Als willkommener Nebeneffekt fliesst zudem weniger Geld in öl- und gasproduzierende Länder ab; unsere Abhängigkeit von Staaten wie Russland oder Saudi Arabien nimmt ab. Und nicht zuletzt genügen Niedrigstenergie-Gebäude auch sehr hohen Komfortansprüchen: permanent frische Luft in allen Räumen, keine Staub- und Pollenbelastung, weniger Strassenlärm, keine Schadstoffkonzentrationen in Räumen etc.

Nicht die NASA hat's erfunden
Energieoptimiertes Bauen ist weder neu noch hoch-technologisch. Unsinnige Häuser mit gigantischen Wärmeverlusten baute der Mensch eigentlich erst, als billigstes Erdöl und Erdgas in grossen Mengen fast überall zur Verfügung standen. Steigende Energiepreise und der Klimawandel lassen uns nun jedoch nicht mehr viel Spielraum für solch paradiesische Dummheiten.
Das Funktionsprinzip energieoptimierter Bauten ist denkbar einfach: Ein Gebäude in unseren Breitengraden soll die Wärmeverluste minimieren und gleichzeitig die solaren Gewinne maximieren. Die Minimierung der Wärmeverluste wird insbesondere ermöglicht durch eine clevere Gebäudehülle, d.h. durch gute Isolation, die Vermeidung von Wärmebrücken und eine hohe Luftdichtheit. Dieselbe Gebäudehülle kann natürlich auch vor Überhitzung schützen. Die angestrebte Maximierung der solaren Gewinne im Winter und während den Übergangs-jahreszeiten erreichen wir durch grosse, moderne "Passivhaus"-Fenster, die möglichst zur Sonne hin ausgerichtet sind und viel Sonnenwärme ins Haus, aber wenig Raumwärme nach aussen lassen, durch Speichermasse oder auch durch Solarmodule für die Warmwasseraufbereitung. Für heisse Tage und Monate muss zudem ein Überhitzungsschutz eingeplant werden, welcher die intensivste Sonneneinstrahlung durch Beschattung der Fenster vom Hausinnern fernhalten kann.
Ein Blick in extremere Klimaregionen oder in die eigene Vergangenheit zeigt auf, dass es kein Hightech-Labor wie das der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA braucht, um ein energetisch intelligentes Haus zu konzipieren. Kompakte isolierende Gebäudehüllen oder überlegte Anordnung und Ausrichtung (bzw. teilweise ganzes Weglassen) der Fensteröffnungen findet man bei einem Iglu in Grönland wie bei einem traditionellen Lehmbau in Mali oder bei einem alten Engadiner Bauernhaus.
Natürlich machen wir uns auch neuere Entwicklungen zu nutze. Eine Lüftungsanlage mit Wärmetauscher oder innovative Energiespar-Fenster beispielsweise sind Produkte unserer Zeit. Aber modernste Niedrigstenergiehäuser befinden sich längst nicht mehr in der Versuchsphase. Alleine in Österreich stehen heute über 2'000 Passivhäuser, weltweit sind es mehr als 10'000. Diese Gebäude finden sich in unterschiedlichsten Lagen und Expositionen, die Architektur ist teilweise traditionell, teilweise modern und es gibt Gebäude mit allen erdenklichen Funktionen, vom Wohnhaus über den Gewerbebau und die Schule bis hin zur Kirche. Niedrigstenergiekonzepte lassen sich zwar am einfachsten umsetzen, wenn das Verhältnis Volumen zu Oberfläche eines Gebäudes möglichst gross ist und wenn die Fenster möglichst gegen Süden ausgerichtet sind. Eine Vielzahl von Beispielen zeigt aber, dass sich auch mit verschiedenen Formen und an unterschiedlichsten Standorten Niedrigstenergiebauten realisieren lassen.

Neben Vorteilen auch Vorurteile
Fast ebenso zahlreich wie die vielfältigen Vorteile energie-effizienter Bauten scheinen die Vorurteile gegenüber Passivhäusern und Co. zu sein. Dabei ruft bei Bauherren und Architektinnen nicht nur die Vorstellung, in unseren Breitengraden ein Haus ohne Heizung zu bauen, häufig grosse Skepsis hervor, sondern es halten sich vielfach auch hartnäckig Meinungen wie die folgenden:

"Da kann man ja nie die Fenster aufmachen!"
Der Mensch braucht - je nach Tätigkeit - rund 30 Kubik-meter Frischluft pro Stunde. In einem Passivhaus muss man sich keine Gedanken darüber machen, ob die Räume ausreichend belüftet sind, denn hier übernimmt die kontrollierte Lüftungsanlage die Frischluftzufuhr. Die Fenster dürfen bei Bedarf trotzdem jederzeit geöffnet werden. Allerdings ist im Winter darauf zu achten, dass der Wärmeverlust nicht zu gross wird, weil sonst nachgeheizt werden muss.

"In solchen Häusern schimmelt es!"
Im Gegenteil. In schlecht gedämmten Häusern kann sich die warme Innenluft an den kalten Aussenwänden niederschlagen (Kondenswasserbildung) und so zu einem Schimmelpilzwachstum führen. Die Passivhaus-Konstruktion macht eine Schimmelbildung hingegen quasi unmöglich. Durch die gleichmässige Temperaturverteilung in den Bauteilen - bedingt durch die sehr gute Wärmedämmung und die Vermeidung von Wärmebrücken - kann sich die Luftfeuchtigkeit nirgendwo niederschlagen.

"Das ist ja nur was für Südlagen!"
Der Wunsch des Diogenes "Geh mir aus der Sonne!" stellt ein Eckpfeiler eines energieeffizienten Hauses dar. Dennoch werden mittlerweile Niedrigstenergiehäuser an den unterschiedlichsten Standorten realisiert, die zeigen, dass eine Abweichung von der idealen Südorientierung durch andere Faktoren kompensiert werden kann. Prinzipiell lässt sich festhalten: Ein Niedrigstenergie-Haus kann heute nahezu an allen Standorten und in vielen Gebäudeformen realisiert werden. Je ungünstiger die Ausrichtung und je grösser die Verschattung des freistehenden Gebäudes ist, desto geringer werden aber die solaren Gewinne - und dies schlägt sich in Mehrkosten nieder, z.B. für eine weitere Optimierung der Dämmung.
Das ebenfalls oft vorgebrachte Argument, ein Niedrigst-energiebau oder eine gute Sanierung seien (zu) teuer, scheint höchstens plausibel, wenn man ausschliesslich die Inve-stitionskosten betrachtet. Heute kostet der Bau eines Niedrigstenergie-Haus im Vergleich zu einem konventionellen Neubau im Schnitt zwischen vier und maximal zehn Prozent mehr. Rechnet man jedoch die Betriebskosten hinzu, so zahlt sich intelligentes Sanieren oder Bauen über die Jahre gerechnet aus; je nach Höhe der Preise für die Heizenergieträger, den Zinssätzen für Darlehen und der Höhe von eventuellen Förderbeiträgen etwas früher oder etwas später.

Der Alpenraum als Modellregion
Wenn heute ökologisch und energetisch schlechte Häuser gebaut werden, dann hat dies Auswirkungen auf den Energieverbrauch und damit auf das Klima für viele Jahrzehnte. Aber obwohl es unzählige erfolgreiche Beispiele energieeffizienter Neubauten und Sanierungen gibt, die das riesige Potenzial für CO2-Einsparungen im Gebäudebereich belegen, sind die heutigen Baustandards bezüglich Energieeffizienz zumeist noch absolut ungenügend. Zwar fördern einzelne Regionen in den Alpen energiesparende Baumassnahmen massiv und können schöne Erfolge vorweisen, aber es bleibt auch hier noch sehr viel zu tun. Es gilt, von den Besten zu lernen und das Wissen über energiesparendes Bauen zu verbreiten und dessen Umsetzung überall zu fördern. Im Alpenraum finden sich zwar fast keine Öl- oder Gasreserven, dafür aber bereits viel Know-How ezüglich intelligenten Bauens - eine ideale Ausgangs-lage für den Alpenraum, um sich als eigentliche Modellregion für intelligentes Bauen und damit für den Klimaschutz zu profilieren.