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Das Wachstum frisst die Effizienzfortschritte

21.12.2007 / Hanspeter Guggenbühl
Die Welt krankt an den Folgen der Klimaänderung. Mehr Energieeffizienz lindert das Leiden. Doch die Wirkung dieses Heilmittels wird meist neutralisiert durch das Wachstum des Konsums. Deshalb braucht es zusätzlich Suffizienz, also Genügsamkeit. Was wiederum voraussetzt, dass wir die Wirtschaft von ihrem Wachstumszwang befreien.
Rauch
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Mitgehangen, mitgefangen: Auch die Alpenregion ist mitverantwortlich für den globalen Klimawandel. © Claudia Pfister / CIPRA International
Der Klimawandel ist ein globales Problem. Ausschlaggebend ist die Menge an Klimagasen, die weltweit in die Atmosphäre gelangt und damit den Treibhauseffekt der Erde verstärkt. Am stärksten, mit rund 80 Prozent Anteil, fällt dabei das CO2 (Kohlendioxid) ins Gewicht, das bei der Verbrennung der kohlenstoffhaltigen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas entsteht. Das Klimaproblem hängt also eng zusammen mit dem weltweit wachsenden Verbrauch von Kohle, Erdöl oder Erdgas; diese drei Energieträger wiederum partizipieren mit rund 80 Prozent am gesamten weltweiten Energieverbrauch.

Alpen-Anteil am Ausstoss von Klimagasen
Die Alpen sind Teil dieser globalen Welt. Wenn auch nur ein kleiner Teil. Wieweit die Alpenregion mitverantwortlich ist für den globalen Klimawandel, lässt sich nicht genau beziffern. Denn es gibt keine Statistik, die misst, wie viel Klimagase aus der Alpenregion entweichen oder – was nicht das Gleiche ist – von den Alpenbewohnern verursacht werden. Immerhin lässt sich der Anteil der Alpen an den globalen CO2-Emissionen und damit am Hauptteil der Klimagase grob abschätzen, wenn man annimmt, dass die 13,6 Millionen Menschen, die in den Alpen leben, pro Kopf gleich viele CO2-Emissionen verursachen wie die übrigen Bewohner der jeweiligen Alpenstaaten. Gemäss Resultat dieser Hochrechnung ist die Bevölkerung der Alpen nur für 0,4 Prozent des weltweiten Ausstosses von CO2-Emissionen verantwortlich. Allerdings machen die 13,6 Millionen Alpenbewohner nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung aus. Das heisst: Ein Mensch in den Alpen verursacht doppelt soviel CO2-Emissionen wie ein Mensch im Welt-Durchschnitt.Was zeigt: Die Alpen tragen absolut zwar wenig, relativ aber überdurchschnittlich stark zum Klimawandel bei.

Härtefall Alpen
Auf der anderen Seite dürfte der Klimawandel die Alpen überproportional betreffen. So sind die Durchschnittstemperaturen im Alpenraum in den letzten Jahrzehnten viel stärker gestiegen als im Weltdurchschnitt. Diese Erwärmung fördert den Gletscherschwund, verschiebt die Schnee- und Permafrost-Grenze nach oben, verstärkt Wetterextreme wie Starkniederschläge, Stürme etc., und aufgrund starker Niederschläge bei hohen Schneefallgrenzen kommt es zu Überschwemmungen, Schlammlawinen oder Felsstürzen.
Um das Klimaproblem zu entschärfen, braucht es wirtschaftliche und politische Veränderungen. Allerdings haben die Regionen in den Alpen – trotz Alpenkonvention und Energieprotokoll – nur bedingt Einfluss auf die Klimapolitik. Denn die Politik wird vor allem von den Nationalstaaten geprägt.

Die Entwicklung in den Alpen-Staaten
Wie sieht es nun bei den Nationalstaaten aus, in denen die Alpen liegen und die die Alpenkonvention ratifiziert haben, also in Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Slowenien und der Schweiz?
Die Werte für diese Staaten insgesamt sind statistisch besser abgesichert als für den Alpenraum allein. Und diese bewegen sich vor der Kommastelle. Konkret: Die Vertragsstaaten der Alpenkonvention partizipieren mit einem Anteil von rund 7,0 Prozent an den globalen CO2-Emissionen. Ihr CO2-Ausstoss pro Kopf ist wiederum doppelt so hoch wie jener im Weltdurchschnitt.
Sämtliche Alpenstaaten haben das Energieprotokoll der Alpenkonvention und auch das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz unterzeichnet. Die Schweiz, Italien und Monaco haben das Energieprotokoll jedoch nicht ratifiziert, Monaco (wie die USA und Australien) hat auch das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert, ist also nicht daran gebunden.
Im Energieprotokoll, Artikel 1, verpflichten sich die Vertragsparteien «im räumlichen Anwendungsbereich der Alpenkonvention Rahmenbedingungen zu schaffen und konkrete Mass­nahmen in den Bereichen Energieeinsparung sowie Energieerzeugung, Energietransport, Energieversorgung und Energieverwendung zu ergreifen, um die energiewirtschaftlichen Voraussetzungen für eine nachhaltige, mit den für den Alpenraum spezifischen Belastbarkeitsgrenzen verträgliche Entwicklung zu schaffen; damit werden die Vertragsparteien einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt, zur Schonung der Ressourcen sowie zur Klimavorsorge leisten».
Das Energieprotokoll enthält jedoch keinerlei quantitative Vorgaben.
Etwas weniger schwammig ist das Kyoto-Protokoll: Darin verpflichten sich alle Alpenstaaten mit Ausnahme von Monaco, ihren Ausstoss an Klimagasen zu reduzieren, nämlich um durchschnittlich acht Prozent in den Jahren 2008 bis 2012 gegenüber dem Niveau des Jahres 1990. Im Rahmen der Lastenverteilung haben die Alpenstaaten Deutschland und Österreich sich bereit erklärt, ihre Emissionen um mehr als diese acht Prozent zu reduzieren, während die Verpflichtung von andern Staaten, unter ihnen Frankreich und Italien, gemildert wird.
Was nun die durchschnittliche Reduktionsverpflichtung von acht Prozent gegenüber 1990 angeht, haben es die einzelnen Staaten bis 2006 unterschiedlich weit gebracht.
Deutschland etwa hat seine Klimagase gegenüber dem Stand von 1990 bereits um 18 Prozent vermindert, das Kyoto-Ziel schon vorzeitig erfüllt. «Geholfen» haben hier der Wirtschaftszusammenbruch in Ostdeutschland, der die CO2-Fracht gegenüber 1990 massiv verminderte, aber auch der Ersatz von Kohle in der Stromproduktion durch das weniger kohlenstoffhaltige Erdgas sowie die Windenergie.
In Frankreich beträgt die Reduktion bisher 1,0 Prozent, in Slowenien 0,8 Prozent. Diese beiden Staaten liegen zwar unter dem Niveau von 1990, aber noch weit vom Kyoto-Ziel entfernt.
Die Resultate aus der Schweiz, Liechtenstein, Italien und Österreich hingegen spiegeln eine klimapolitisch negative Entwicklung: Die Schweiz hat den Ausstoss von Klimagasen seit 1990 um ein Prozent, Liechtenstein um 6, Italien um 11 und Österreich um 16 Prozent erhöht. Die vier Staaten mit dem grössten Anteil an Bevölkerung und Fläche in den Alpen puffen heute also nicht weniger, sondern sogar noch mehr Klimagase in die Luft als 1990. Und, so zeigen die Prognosen, sie werden das Kyoto-Ziel von minus acht Prozent in den Jahren 2008 bis 2012 deutlich verfehlen.
Die meisten Klimawissenschafter erkennen aber, dass das Kyoto-Protokoll bei weitem nicht genügt, um den Klimawandel wesentlich zu bremsen. Doch wie oben gezeigt, erreichen nicht einmal die Staaten, welche die Alpenkonvention ratifiziert haben, dieses bescheidene Ziel, wobei Deutschland aufgrund der speziellen Situation eine Ausnahme bildet. Weshalb dieses ernüchternde Resultat?

Wachstum schlägt Effizienz
Es lässt sich nicht behaupten, die Staaten Europas und insbesondere die Alpenstaaten hätten nichts getan, um ihre CO2-Emissionen zu senken. In den meisten Ländern werden heute Häuser gebaut, die pro Quadratmeter Wohnfläche weniger Energie verbrauchen als die Häuser aus den 1960er-Jahren. Automotoren sind effizienter geworden. Erneuerbare Energien wie etwa Holz und Windenergie werden vermehrt genutzt und ersetzen damit Kohle und Erdöl. Vor allem Deutschland und Österreich haben die Nutzung der Windenergie stark gefördert, Österreich auch den Einsatz von Holz.
Doch stärker als diese Effizienz-Steigerungen wuchs die Menge vom Klimagasen in Form von mehr Wohnfläche, in Form von zusätzlichen und grösseren Autos. Auch die übrige Produktion und der Konsum von Waren, Dienstleistungen und Reisen haben zugenommen (wobei das Kyoto-Protokoll die beträchtliche Menge an Klimagasen, die Flugreisen verursachen, gnädigerweise ausklammert). Das heisst: Das Wachstum der Wirtschaft, gemessen an den Bruttoinlandprodukten (BIP), und das Wachstum des Konsums übertraf die Zunahme der Effizienz.
Dabei verzeichnete das Alpenland mit dem höchsten Zuwachs an Klimagasen, nämlich Österreich, gegenüber dem Stand von 1990 auch das höchste Wirtschaftswachstum, gefolgt von Frankreich. Das kleinste Wirtschaftswachstum seit 1990 verzeichneten die Schweiz, Italien und Deutschland.
In dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten: entweder wir steigern die Energieeffizienz weit stärker als bisher. Oder wir reduzieren das Wachstum von Wirtschaft und Konsum. Letzteres erfordert Suffizienz, also eine Veränderung unseres Verhaltens Richtung Genügsamkeit.
Effizienz und Suffizienz sind also die Schlüssel-Anforderungen, um nicht nur das Klima, sondern die Umwelt als Ganzes zu schützen. Doch das ist leichter gesagt als umgesetzt. Denn auch die stärksten Effizienzsteigerungen stossen irgendwann an physikalische Grenzen. Und Genügsamkeit, die zur Schrumpfung des Konsums führt, ist mit dem bestehenden Wirtschaftssystem nicht kompatibel und auch politisch kaum mehrheitsfähig. Denn alle Regierungen träumen von einem «stetigen und dauerhaften Wirtschaftswachstum». Diese Regierungen lassen sich nur schwer für eine stetige und dauerhafte Schrumpfungsrate begeistern. Noch schwerer dürfte eine Suffizienzstrategie in Ländern durchsetzbar sein, die lange im wirtschaftlichen Abseits standen und jetzt legitimerweise aufholen möchten.

Lokale Lehrstücke für globale Wende
Das Fazit ist damit ernüchternd:
Der Einfuss der Alpen im Klimabereich bewegt sich hinter der Kommastelle, ist also kleiner als ein Prozent. Alpenweiter Klimaschutz führt deshalb weltweit nicht sehr weit.
– Die globale Entwicklung läuft in die falsche Richtung. Selbst in scheinbar fortschrittlichen und klimabewussten Staaten, welche die Alpenkonvention samt Energieprotokoll und das Klimaprotokoll von Kyoto ratifiziert haben, hat der Verbrauch an Energie und auch der Ausstoss von Klimagasen insgesamt nicht ab-, sondern weiter zugenommen.
– Hauptursache dafür ist das Wachstum der Wirtschaft und des Konsums von energieintensiven Waren und Dienstleistungen – ein Wachstum, das bisher die Steigerung der Energie- und Umwelteffizienz übertraf.
– Gegen die Wachstumsstrategien, die alle Staaten verfolgen, wächst momentan kein politisches Kraut.
Falsch wäre es nun aber, aus dieser eher ernüchternden globalen Analyse zu folgern, lokales Handeln sei sinnlos. Denn um den globalen Trend zu wenden, braucht es gute lokale Beispiele und Lehrstücke. Kommt dazu: Wer lokal vorsorgt, kann zwar den Klimawandel kaum beeinflussen. Aber er ist gegenüber den negativen Auswirkungen, die eine Verknappung von natürlichen Ressourcen – sei es Erdöl, Wasser oder fruchtbarer Boden – nach sich zieht, besser gewappnet.
Aus dieser Sicht sind lokale Projekte im Klimaschutz – ob in den Alpen, in den Savannen oder in den Metropolen – sinnvoll und wichtig